Dystanz | Goldstein & W1353l

Die multimediale Rauminstallation Dystanz spiegelt derzeitige Gefühle wieder, die jede*n betreffen, die*der Abstand halten muss und trotz der Gefahr eine tiefe Verbundenheit zu ihren*seinen Mitmenschen spürt. Der Titel Dystanz steht dabei für eine schmerzhafte Entfernung und Zurückhaltung und unterteilt sich in die pathologische Vorsilbe Dys- und das sonst freudvolle Wort Tanz.

Materialien: Digitalfotografie gerahmt, NATO-Draht, Spiegel

Maße: Raum 3x4m, Wandtableau 1,5x2m, NATO-Draht 2,5x0,8m

ausgestellt
Schaufenster | Schnittstelle Neustrelitz | 2020
Von der Kunst, die Krise zu deuten | Kirche Neustrelitz | 2021


Assoziativer Text | Caroline Barth

Was ist Wahrheit? Was ist Lüge? Können wir alles glauben, was wir sehen? Können wir den eigenen Augen noch trauen? Schon lange nicht mehr. Und auch sonst keinem. Überall nur noch fake news, die es schon immer gab und die früher mal Propaganda hießen. Aber Wahrheit ist subjektiv, das weiß doch jeder! “Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt!” Also tanze ich mit NATO-Draht. Schön sexy, aber immer schön mit Abstand. 1,5 Meter mindestens! Oder waren es doch ganze zwei? Was ist denn nun mit dem Tanz in Dis-tanz? Social Distancing oder gepflegt ein Corona zischen auf der nächsten Party? Ich bin verwirrt, aber was soll’s! Stirbt nicht sowieso jede*r für sich allein? Die Fotografien von Shirin Goldstein und Marc W1353l zeigen einen zeitgenössischen Totentanz. Durch fotografische Mittel, wie etwa dem Einsatz verschiedener Perspektiven, der Wechselwirkung von Schärfe und Unschärfe im Bild, irisierenden Bearbeitungen und dem Übereinanderschichten mehrerer Ebenen, werfen die Digitalfotografien der beiden Künstler*innen Fragen auf, wie wir sie uns heute täglich stellen (müssen): Was können wir glauben? Was können wir tatsächlich wissen? Und was machen wir eigentlich mit dieser Wahrheit, wenn wir sie einmal freigelegt haben? Bringt es uns persönlich weiter, wenn wir die Dinge mal so richtig klar sehen? Wenn wir uns unsere eigene Sterblichkeit – genau hier, genau heute, genau jetzt – ins Bewusstsein rufen, ganz im Sinne des barocken Memento Mori? Sollten wir den NATO-Draht tanzen lassen und das Leben feiern, indem wir uns der Möglichkeit der (Selbst-)Verletzung hingeben und die Facetten unserer Sterblichkeit entfalten? Trauste dir wohl nich, wa?! Und was würden eigentlich die vielen Geflüchteten dazu sagen, die an Europas Grenzen im Mittelmeer oder in einem solchen Draht verenden?

Caroline Barth
Kunsthistorikerin & Künstlerin
seit 2019 Leiterin des Caspar-David-Friedrich-Zentrums in Greifswald